Vom Vater zur Tochter
Es ist eine grosse Verantwortung, ein Lebenswerk zu übernehmen. Dazu braucht es von beiden Seiten Geduld, Verständnis und gegenseitiges Vertrauen. Sabine Lüthy hat vor rund zehn Jahren die Leitung der Ruedi Lüthy Foundation übernommen, die ihr Vater 2003 gegründet hatte. Im Interview erzählen Vater und Tochter, was es braucht, damit der Generationenwechsel klappt.
Herr Lüthy, haben Sie sich schon immer gewünscht, dass die Leitung Ihrer Stiftung in der Familie bleibt?
Bei der Gründung der Stiftung war ich bereits 62 Jahre alt und wusste, dass meine Zeit in Simbabwe begrenzt sein würde. Mehrere Versuche, einen geeigneten Nachfolger zu finden schlugen fehl. Ein solches Projekt in der Dritten Welt zu leiten, braucht ganz bestimmte Fähigkeiten. Ich bin deshalb sehr dankbar und glücklich, dass meine Tochter Sabine sich entschieden hat, die Stiftung in die Zukunft zu führen.
Frau Lüthy, wie kam es zu der Entschei-dung, dass Sie die Stiftung Ihres Vaters weiterführen möchten?
Meinem Vater war es immer ein grosses Anliegen, dass die Arbeit in seinem Sinne weitergeführt wird. Als er die Stiftung gründete war ich leidenschaftliche Radiojournalistin und dachte überhaupt nicht daran, meinen Beruf aufzugeben. Dann, vor bald 10 Jahren, hatte ich diesen Traum: Ich träumte, mein Vater läge im Sterben und er sei sehr besorgt über die Zukunft seiner Klinik, seines Lebenswerkes. Ich nahm seine Hand und versprach ihm, dass ich mich darum kümmern würde. Als ich aufwachte, wusste ich, was ich nun zu tun hatte. Als mir dann mein Vater erzählte, dass er zur gleichen Zeit den praktisch gleichen Traum hatte, war der Entscheid klar und unumstösslich.
Wie schmal ist der Grat zwischen Ehre und Druck?
Sabine Lüthy: Am Anfang hatte ich schlaflose Nächte. Aber ich bin ja nicht allein. Mein Vater ist immer noch aktiv, in der Klinik und im Stiftungsrat. In Harare leiten erfahrene Profis den Betrieb, und das Klinik-Team teilt unsere Werte und Ziele. Hier in Bern unterstützt mich ein kleines, aber hochmotiviertes Team. Zudem ist unser Stiftungsrat sehr engagiert und flexibel – gerade in Krisenzeiten ist das eine enorme Unterstützung. Ich kann mich auf ein gut eingespieltes Team verlassen.
Arbeiten weitere Familienmitglieder in der Stiftung mit?
Ruedi Lüthy: Meine Frau Rosy und unser jüngster Sohn Philipp waren von Anfang mit dabei. In den ersten Jahren gab es beispielsweise noch keine HIV Medikamente für kleine Kinder und meine Frau zermörserte die Pillen für Erwachsene in kindergerechte Dosierungen. Unser Sohn hat eine elektronische Patientendatenbank entwickelt. Das war damals ungemein schwierig, weil wir dauernd mit Stromunterbrüchen zu kämpfen hatten. Inzwischen haben einhei-mische Mitarbeitende diese Arbeiten übernommen.
Welche Herausforderungen erleben Sie beim Generationenwechsel?
Ruedi Lüthy: Die grösste Schwierigkeit ist für mich, loslassen eines Projekts, das mir so ans Herz gewachsen ist. Zurückstehen, wenn ich einen anderen Weg gewählt hätte. Zu sehen, dass Fehler passieren können, von denen ich meine, dass sie mir nicht passiert wären. Das ist ein Prozess, an dem ich auch heute täglich arbeite. Am wichtigsten ist aber für mich, dass Sabine meine Philosophie bezüglich Patientenbetreuung teilt: Zuwendung zum Patienten, Hilfestellungen, die über die Abgabe von Medikamenten hinaus gehen, Entwicklung eines Teamgeistes, der auch unter ungemein schwierigen Verhältnissen die Mitarbeitenden bestärkt und zusammenhält.
Sabine Lüthy: Ich habe die Verantwortung übernommen, das Lebenswerk meines Va-ters in die Zukunft zu führen. Das bedeutet nichts anderes, als dass ich mich auf die Zeit vorbereite, wenn er nicht mehr da ist. Das ist emotional manchmal belastend. Auch für die anderen Familienmitglieder ist es nicht immer einfach: Sie alle müssen viel Verständnis aufbringen, denn oft ist die Stiftung oder die Newlands Clinic ein dominantes Thema – da machen auch Weihnachten oder Geburtstage keine Ausnahme.
Gibt es Differenzen in der täglichen Zusammenarbeit?
Ruedi Lüthy: Wenn wir unterschiedlicher Meinung sind, lösen wir das meist auf einer sehr sachlichen Ebene.
Sabine Lüthy: Wir sind zwar aus dem glei-chen Holz, aber dennoch unterschiedlich geschnitzt. Mein Vater ist der Macher, der Pionier. Er sieht etwas und handelt. Ruedi Lüthy: Sabines Aufgabe besteht darin, die Stiftung und die Klinik langfristig zu führen. Sie ist die Strategin. Sie tritt einen Schritt zurück und denkt alles durch. Das ist gut so. Unter dem Strich würde ich sagen, dass wir uns über weite Strecken fast blind verstehen. Unsere Grundwerte sind dieselben. Das ist das Wichtigste.
Welchen Rat geben Sie Familienunter-nehmen, wenn ein Generationenwechsel ansteht?
Ruedi Lüthy: Als Patron muss man lernen, zurückzustehen. Das gelingt nur, wenn man Vertrauen in den Nachfolger oder Nachfolgerin hat. Und auch dieses entsteht nicht von heute auf morgen. Es braucht deshalb Geduld und Verständnis, dass die nächste Generation Abläufe ändern oder abschaffen will, so wie ich es für mich auch beansprucht hatte.
Sabine Lüthy: Es ist meiner Meinung nach sehr wichtig, frühzeitig die Nachfolgeplanung anzugehen. So kann die bestehende und die nachfolgende Generation aus- beziehungsweise einsteigen. Um wirklich die DNA eines Betriebes wie dem unsrigen zu erfassen, sind viele Diskussionen, Refle-xionen und auch mal Dispute notwendig. Ich will so lange es irgend geht, von der jahrzehntelangen Erfahrung und dem Instinkt meines Vaters profitieren, damit ich gewappnet bin, wenn er eines Tages nicht mehr da ist.