Act against Aids

SI: Ihr Feuer lodert weiter für Afrika

Vor 20 Jahren erfüllen sich Aids-Pionier Ruedi Lüthy und seine Frau Rosy ihren Jugendtraum. Statt in den Ruhestand gehen sie nach Zimbabwe und bauen ein Spital für HIV-Kranke auf. Er steht im Rampenlicht. Sie erlebt mit ihm Frust und Depressionen. Als Paar hat sie diese Erfahrungen gestärkt. Ein Artikel in der Publikumszeitschrift Schweizer Illustrierten von René Haenig mit Bildern von Geri Born.

Rosy and Ruedi Lüthy talking about their life as a couple and work in Zimbabwe in the Swiss magazine Schweizer Illustrierte.

Lange Zeit galt der Spruch: Hinter jedem erfolgreichen Mann steht eine starke Frau. Was heute antiquiert anmutet, folgte einer einfachen Logik: Ums Geschäft kümmert sich der Mann, die Frau hält ihm den Rücken frei. Bei Ruedi Lüthy, 81, dem Schweizer Aids-Spezialisten der ersten Stunde, ist es nicht anders gewesen. Als Pionier stand der Mediziner im Rampenlicht, seine Frau Rosy, 84, eine gelernte Krankenschwester, hielt sich im Hintergrund. Der Professor heimste Auszeichnungen und Anerkennungen ein: 2003 Ehrendoktor der Uni Bern, 2004 Swiss Award in der Sparte Gesellschaft, 2007 kürt ihn das Magazin «Reader’s Digest» zum Europäer des Jahres, 2015 erhält er den Doron Preis und die Würdigung der Paradies Stiftung für soziale Innovation – vor zwei Jahren schliesslich verleiht ihm der «Beobachter» den Prix Courage Lifetime Award.Und Rosy Lüthy? Sie habe sich all die Jahre nie benachteiligt gefühlt, sagt sie. «Mit einem Mann, der so im Rampenlicht steht, war es mir aber wichtig, etwas nur für mich zu haben. Etwas, das mir gut tut und Spass macht. Das empfehle ich übrigens jeder und jedem.» Bei Rosy Lüthy ist es das Malen. Mit Pinsel und Acrylfarben tobt sie sich bis heute auf der Leinwand aus – einige ihrer farbenfrohen Bilder zieren die Flure der Newlands Clinic in Zimbabwes Hauptstadt Harare. Gemeinsam haben sie zur Jahrtausendwende das Spital aufgebaut.

Pflegerin, Hausfrau und Mutter
Schon lange vor dem gemeinsamen Afrikaabenteuer macht Rosy Lüthy ihr eigenes Ding, verzichtet während der Erziehung der Kinder Thomas, heute 55, Sabine, 53, und Philipp, 45, zwar auf eine Karriere, aber nie ganz auf ihren Beruf. «Ich übernahm Urlaubsvertretungen, was in den ersten Jahren unserer Ehe auch finanziell nötig war, da Ruedi sein Medizinstudium noch nicht beendet hatte.» Als ihr Jüngster mit zwölf alt genug war, um sie als Mutter nicht mehr ganz so stark zu brauchen, hat sie die Fühler beruflich wieder ausgestreckt. «Ich arbeitete mit Aidskranken im Drogenmilieu, die gemeinsam in einer Wohngemeinschaft lebten.» Auch im Zürcher Lighthouse, zu dessen Mitgründern ihr Mann 1991 gehört, arbeitet sie drei Tage pro Woche, begleitet damals unheilbar HIV-Kranke auf dem Weg in den Tod. «Es war eine sinnstiftende Arbeit, und Ruedi fands gut.» Ansonsten besucht sie Vorträge, belegt Kurse, interessiert sich für Kunst.Dass sich Ruedi Lüthy, der mit 62 vorzeitig in Pension geht, nicht einfach zur Ruhe setzen würde, sei ihr lange vorher klar gewesen. Den Traum, ein mal in Afrika zu leben und zu arbeiten, hatten beide seit ihrer Jugend. Rosy, vor dem Bau der Mauer im Ostteil Berlins geboren, hat schon als junge Krankenschwester das Bedürfnis, rauszukommen und die Welt zu sehen. «Ich wäre auch nach Israel in einen Kibbuz gegangen oder hätte auf einem Frachtschiff angeheuert. Heiraten wollte ich auf gar keinen Fall.» Es kommt anders. Eine Kollegin, die aus der Schweiz nach Berlin zurückkehrt, schwärmt von Zürich: «Eine tolle Stadt!» 1965 tritt die damals 26-jährige Rosemarie, so ihr Taufname, eine Stelle am Zürcher Unispital an. In einer Nachtschicht lernt sie Ruedi Lüthy kennen, der sich als Sitzwache Geld fürs Medizinstudium dazuverdient. «Wir tranken Tee in den Pausen, rauchten, unterhielten uns, und eines Abends fragte er mich: ‹Schwester Rosemarie, hätten Sie Freude, mit mir zu einer Vorlesung zu kommen?›» Ein Jahr später heiraten sie. Ihr Traum von Afrika landet in der Schublade. «‹So einen wie dich können sie da nicht einsetzen›», erinnert sich Lüthy an die Antwort eines Afrika-erfahrenen Kollegen, dem er von seinem Wunsch erzählte. «‹Sie brauchen erfahrene Leute›, beschied er mir knapp.»

Zimbabwe war reiner Zufall
Erfahrung hat Ruedi Lüthy dann Anfang der 2000er-Jahre mehr als genug. Als er und seine Frau zum Internationalen Aids-Kongress nach Durban in Südafrika reisen, ist das ein Schlüsselerlebnis. «Was wir dort hörten und sahen, ging uns unter die Haut.» Zurück in der Schweiz setzt sich das Ehepaar mit den erwachsenen Kindern an einen Tisch. «Ich fragte: Wie wäre es, wenn wir einen Teil unserer Pensionszeit noch in Afrika arbeiten würden?», so der Mediziner, und Rosy Lüthy ergänzt: «Die Zustimmung unserer beiden Söhne und unserer Tochter war so deutlich, dass wir spürten, es stimmt für die ganze Familie.» Dass sie in Zimbabwe landeten, sei mehr einem Zufall geschuldet gewesen. «Eine Ärztin von dort suchte meinen Rat», erinnert sich Lüthy. Damals weiss er nicht mal, wo auf der Weltkarte er nach Harare suchen muss. «Ich flog hin, und es war erschütternd zu sehen, wie wenig die Ärzte dort vom Umgang mit Aidspatienten wussten.» Weil er nicht genug Geld hat, um das Projekt einer HIV-Klinik allein zu stemmen, gründet er in der Schweiz die Ruedi Lüthy Foundation, sammelt hier gebrauchte Spitalmöbel sowie anderes medizinisches Zubehör. Bis die Garage ihres damaligen Hauses in Feldmeilen ZH überquillt.Ende August 2002 reist er mit Sohn Philipp nach Harare, wo er Monate zuvor ein Haus für sich und Rosy angemietet hat. Sie folgt Mitte September. «Ursprünglich wollten wir ein kleines Apartment beziehen, aber die Leute vor Ort appellierten an uns, dass wir so weder akzeptiert noch ernst genommen würden. Es hiess: Ihr müsst ein Haus und Angestellte haben.» Etwas, womit sich besonders Rosy Lüthy lange schwertut. «Wenn ich schon nicht direkt im Spital mitarbeiten durfte, wollte ich doch wenigstens selber einkaufen, kochen und unsere Betten machen.» In der Newlands Clinic findet sie dann doch eine Aufgabe, wenn auch nicht ganz offiziell. «Ich drehte Pillen», sagt sie und lacht dazu schelmisch.

Kurze Flucht aus Verzweiflung
Nicht alles läuft immer glatt in den vergangenen 20 Jahren in Zimbabwe. «Es gab Momente, in denen wir uns fragten: Was tun wir eigentlich hier?» 2005 fällt Ruedi gar in eine tiefe Depression. Verzweifelt flüchtet das Paar zurück in die Schweiz. «Ihn so leiden zu sehen, setzte auch mir zu. Es war keine einfache Zeit. Ich las viel über Depressionen, suchte Rat bei einer befreundeten Psychologin. Wenn man zusammenbleiben will, muss man lernen, damit umzugehen.» Dass sie zusammengeblieben sind und nach Afrika zurückkehrten, sei das Verdienst seiner Rosy, sagt Ruedi Lüthy und schaut seine Frau liebevoll an. Gründe, sich zu trennen, habe es gegeben, sagt sie. «Meist wegen mir», sagt er. 57 Jahre sind sie jetzt verheiratet. Ihr Rezept? «Viel reden. Niemals aufgeben. Und Durchhaltevermögen.»

Artikel Schweizer Illustrierte

Copyrigth: Geri Born/Schweizer Illustrierte